Wieso?
Mit einem Augenzwinkern ernst gemeintes Vorwort
Wenn ich mich an die fünfte Klasse meiner eigenen Primarschulzeit in den 60er Jahren erinnere, fallen mir zum Thema „Technisches Gestalten“ – damals hiess das bei uns äusserst bezeichnend „Kartonage“ – assoziativ die folgenden, fragmentarisch zusammengefassten Aussagen und Begriffe ein:
- Eiserne Disziplin (ich erhielt vom Lehrer einmal eine schallende Ohrfeige, weil ich dem zwei Meter von mir entfernten Kameraden den Radiergummi zuwarf, statt ihn ihm zu überreichen. Sprechen in der „Werkstatt“ war nur im Flüsterton erlaubt).
- Pedantische Genauigkeit (Mehr als ein halber Millimeter Messtoleranz wurde von meinem Fünftklasslehrer nicht geduldet. – In meinem ersterlernten Beruf als Bauzeichner kam mir diese Härte allerdings sehr entgegen!)
- Schneidmesser und Stahllineal
- Karton zuschneiden
- Erneut Karton zuschneiden
- Schon wieder Karton zuschneiden
- Weissleim und Kleistermasse aufpinseln
- Karton mit Papier überziehen
- Dauerstafette zwischen Lehrerpult (vorzeigen) und dem eigenen Arbeitstisch (nachahmen)
Wen wundert’s, dass sich die 68er-Bewegung über die sexuelle Freiheit hinaus auch für eine emanzipatorische Liberalisierung der „Kartonage“ engagierte? Weg mit den rein aufs Handwerkliche beschränkten Nachahmungshandlungen! Es lebe die kreative Schaffenskraft! Ein Hoch auf die uneingeschränkt ausgelebte Individualität!!
– Lapidare Arbeitstechniken wie Löcher bohren, sägen, feilen, löten, Gewinde schneiden, schrauben und kleben, oder gar Kenntnisse der Materialkunde waren zwar etwas für den simplen Handwerker, aber durchaus verpönt für schöpferisch tätige Lehrpersonen! Diese Philosophie herrschte zumindest während meiner Ausbildungszeit zum Lehrer.
Als auf dem zweiten Bildungsweg frisch gebackene Lehrperson versuchte ich anfänglich natürlich, die neue Idee des Technischen Gestaltens im Schulalltag zu verwirklichen. Allerdings landeten die meisten auf „Versuch und Irrtum“ gebastelten Produkte der mir anvertrauten Schüler grösstenteils im Kehricht! Meine Fünft- und Sechstklässler – entwicklungspsychologisch dem kritischen Realismus verhaftet – erkannten nämlich von Beginn weg die Diskrepanz zwischen ihrer Vorstellung und dem entstandenen Objekt..!
Mittlerweile habe ich mich von der rein experimentellen Werkerei à la trial and error so ziemlich distanziert. Es geht eben nicht ganz ohne das handwerkliche Wissen und Können! Gerade diese Fertigkeiten – ich nenne es das „Werkzeugdenken“ – entscheiden meist, ob eine Idee, – eine Vorstellung in ein reell existierendes, funktionierendes Werkobjekt umgesetzt werden kann.
Werkunterricht, welcher eingleisig nur auf Selbsterfahrung und experimentellen Tätigkeiten basiert, führt schlussendlich wegen der damit verbundenen, vielen Misserfolgen zu Frustration bei den Kindern („Herr Merz, wann basteln wir einmal etwas Richtiges?“). Einmal ganz abgesehen davon, dass die Zeit nicht im Geringsten dafür ausreicht, die auch im „Technischen Gestalten“ durchwegs überbepackten Lehrpläne nur annähernd zu erfüllen! Heute versuche ich vielmehr, die beiden – hautnah selbst erlebten – Lehrphilosophien zu kombinieren: – Eine gesunde Mischung zwischen
a) der Vermittlung von reinen Arbeitstechniken und dem korrekten Einsatz von Werkzeugen (welche wie beim Bruchrechnen oder in der Grammatik eben geübt werden müssen)
und
b) Phasen, in denen die Kinder selbsthandelnd und lösungsorientiert mit Materialien experimentieren können und wo das Ergebnis zu Gunsten eines prozessorientierten Ablaufs eine bloss untergeordnete Rolle spielt.
ich verzichte an dieser Stelle auf hoch theoretische, wissenschaftliche und fachdidaktische Ausführungen, ob nun ein Technischer Unterricht nach a) oder nach b) der bessere sei. Auch unter den „Gelehrten“ herrscht diesbezüglich Uneinigkeit (vgl. Zeitschrift tu, Technik im Unterricht, Ausgaben Nr. 116|117, Neckar Verlag).
Und gerade auch deshalb schrecke ich in meinem Werkunterricht nicht davor zurück, vorfabrizierte, im Handel käufliche Bausätze einzusetzen.
Wie die beiden oben erwähnten Anforderungen unter einen Hut gebracht werden können, das zeigt meine Arbeit hoffentlich auf. (Ich verweise hier auch auf die blau gefärbten „methodischen Hinweise“). Selbstredend können nicht alle angebotenen Werkarbeiten in einem zweijährigen Klassenzug realisiert werden; das ist auch keinesfalls nötig. Je nach ausgewählten Lehrplanzielen wird die interessierte Lehrperson die entsprechenden Arbeiten auswählen und mit den Kindern bauen. Viel Spass dabei wünscht
Goldau/Brunnen, März 2008
Andreas Merz